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LEISTUNGSLUST STATT JOBFRUST

Restart Career im Gespräch mit Prof. Ingo Hamm

Angesichts des akuten Fachkräftemangels mehren sich Stimmen, die Deutschen sollten doch bitte mehr arbeiten. Warum es stattdessen viel wichtiger ist, „besser“ zu arbeiten, und wie das geht, erläutert Prof. Ingo Hamm im Interview mit Dr. Sabrina Zeplin, Geschäftsführerin der Outplacement-Beratung Restart Career. Der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt forscht zu Arbeitsmotivation und -zufriedenheit und veröffentlichte jüngst das Buch „Lust auf Leistung“ als Ratgeber für Arbeitnehmer und Führungskräfte. 


Lieber Herr Prof. Hamm, aktuell hören wir gerade viele Forderungen nach 4-Tage-Woche bei voller Bezahlung, nach Frührente, Workation, Flex Office und hundefreundlichen Arbeitsplätzen. Ist den Deutschen die Lust am Arbeiten vergangen?


Die vielen Diskussionen zeigen, dass sich etwas verändert hat in unserem Verhältnis zur Arbeit, übrigens generationsübergreifend. Es wäre aber zu einfach, daraus zu schließen, dass den Deutschen die Lust am Arbeiten vergangen ist – es ist viel komplexer. Ich spreche hier von einer psychologischen Sinnkrise. Nicht im philosophischen Sinne – wir fragen uns also nicht plötzlich, was der Sinn des Lebens ist. Sondern wir vermissen im Alltag häufig das Gefühl, dass unsere Arbeit wirklich etwas bewirkt. Wir machen viel, wir sind busy, wir sind effizient, aber am Ende eines Arbeitstages haben wir oft das Gefühl, wenig „greifbar“ bewirkt zu haben.


Psychologisch gesehen kommt uns häufig die „Wirksamkeitserfahrung“ abhanden. Wir sehen nicht mehr den direkten Zusammenhang zwischen unserer Tätigkeit und dem Ergebnis, zwischen unserer Anstrengung und dem konkreten Nutzen für andere. Wir fühlen uns weniger als Gestalter, als Macher, sondern eher als Verwalter von Prozessen, als Rädchen in einem großen, unüberschaubaren Getriebe. Die konkrete, handwerkliche, „anfassbare“ Arbeit – die rückt immer weiter in den Hintergrund. Und damit auch das Gefühl, etwas mit unseren eigenen Händen geschaffen zu haben, etwas Bleibendes hinterlassen zu haben.


Das führt schließlich zum Phänomen, das wir gerade beobachten: Die Menschen suchen Sinn und Erfüllung woanders – in der Freizeit, in Hobbys, im Engagement für andere. Es ist, als würden sie vor der Arbeitswelt flüchten und sich in private „Sinn-Oasen“ zurückziehen.


Es geht also nicht darum, dass wir alle wieder „mehr“ arbeiten. Es geht darum, dass wir Arbeit wieder „besser“ arbeiten. Dass wir die Freude am Schaffen, am Bewirken, am Gestalten wiederentdecken. Und dass wir Arbeit nicht nur als Mittel zum Zweck sehen, sondern als Chance, uns einzubringen, etwas zu bewegen und unsere eigenen Potenziale zu entfalten.


Ich teile die Erfahrung, dass ein „Wohlfühl-New-Work“ mit buntem Office, Fitnessraum, kostenlosem Obst und Kicker-Tisch nicht zu Motivation und Produktivität führt, wenn Ziele unklar sind, Mitarbeitende nicht ihre Stärken einsetzen können und keine Wirksamkeit ihrer Arbeit erfahren. Was raten Sie Mitarbeitenden, wenn sie in einem Job feststecken, der wie ein Leistungskiller wirkt?


Wenn die Arbeit selbst keinen Spaß mehr macht, dann helfen auch die tollsten Benefits nicht weiter. Wenn man seine Stärken nicht einbringen kann, wenn die Ziele unklar sind und man kein echtes Wirksamkeitserlebnis hat – dann führt das auf Dauer zu Frustration und Demotivation. Und dann muss man zwei Szenarien unterscheiden: Ich versuche, etwas am Job zu ändern – oder ich wechsle den Job, vielleicht auch die Tätigkeit.

Der erste Punkt ist das sogenannte „Job Crafting“: Man gestaltet die eigene Arbeit aktiv mit und passt sie an die eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten an. Das kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Man kann zum Beispiel mit dem Chef über neue Aufgaben sprechen, die den eigenen Stärken mehr entsprechen. Man kann sich im Team anders organisieren, um effizienter zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig mehr zu unterstützen. Man kann sich im Büro einen anderen Platz suchen, an dem man konzentrierter arbeiten kann. Oder man kann auch mal die Initiative ergreifen und eigene Projekte vorschlagen, die über das übliche Tagesgeschäft hinausgehen. Es geht beim Job Crafting in gewisser Weise auch darum, an die Grenzen der eigenen Rolle zu gehen, ja vielleicht auch an die Grenzen des Erlaubten.


Wenn alle Versuche, den Job durch Job Crafting attraktiver zu machen, gescheitert sind – dann ist es vielleicht wirklich Zeit für einen Tapetenwechsel. Aber auch das kann man professionell und mit Stil machen. Es geht nicht darum, die Türen hinter sich zuzuschlagen und mit einem lauten Knall zu verschwinden. Sondern darum, mit dem Chef und den Kollegen offen und ehrlich darüber zu sprechen, warum man sich verändern möchte.


Und hier sind auch die Unternehmen und die Führungskräfte gefragt – und mancherorts auch ein Mentalitätswechsel nötig: Sie sollten Mitarbeiter, die sich verändern wollen, kündigen wollen, nicht als undankbare „Nestbeschmutzer" behandeln. Sondern versuchen, ihnen mit Verständnis und Hilfsbereitschaft entgegenzukommen, sie ganz konkret positiv und wertschätzend unterstützen, nach dem Motto: „Wie kann ich Dir helfen, einen neuen Job zu finden, der besser zu Dir passt, der Dich glücklicher macht? Und Du vielleicht irgendwann mal zu uns zurückkommst, mit einer neuen Erfahrung, mehr Kompetenzen etc.“ Schließlich ist es doch im Interesse aller, wenn jeder Mensch einen Job hat, der zu ihm passt und der ihn glücklich macht.


Absolut! Was können Arbeitgeber / Führungskräfte konkret tun, wenn sie sie sich über unmotivierte und unproduktive Mitarbeitende ärgern? Wie erzeuge ich Leistungslust bei meinen Mitarbeitenden?


Die Pauschalaussage „Die Mitarbeiter sind unmotiviert!“ höre ich in letzter Zeit oft. Bevor man sich da in eine Spirale des Ärgers hineinsteigert, ist es, glaube ich, wichtig, erst einmal genau hinzuschauen. Was steckt wirklich dahinter, wenn die Leistung nicht stimmt? Da hilft oft ein Perspektivwechsel: Weg von der reinen Bewertung – hin zum Verstehen.


Denn eines ist klar: Leistungsbereitschaft und die damit verbundene Arbeitsmotivation und Arbeitszufriedenheit, entsteht nicht auf Knopfdruck. Sie ist keine Frage des Alters, der Generation oder gar der Bequemlichkeit – auch nicht in der Generation Z. Es ist viel mehr eine Frage der Psychologie, der Frage, ob die Rahmenbedingungen stimmen und ob die Arbeit als sinnvoll und wirksam erlebt wird.


Dabei geht es um ganz konkrete individuelle Kompetenzen: Habe ich einen Job, in dem ich das einbringen und verwirklichen und weiterentwickeln kann, was ich immer schon gerne mochte, was ich immer schon gut konnte? Kompetenzen sind so etwas wie „Ur-Fähigkeiten“, die in jedem von uns schlummern, und die das Potenzial zur echten Arbeitsfreude haben – weil ich mit diesen Kompetenzen etwas bewirke.


Übrigens gibt es eine recht einfache, oft unterschätzte Quelle von Rückmeldungen zur Wirkung der täglichen Arbeit: die Kunden. Hier arbeitet leider ein Großteil der Mitarbeitenden weit entfernt von der Kundschaft, eben von den Menschen, die einen kaufen, die die Ware oder Dienstleistung mögen und wertschätzen. Hier kann man als Führungskraft oder Unternehmensleitung versuchen, die Kunden wieder näher an die Belegschaft zu holen. Genau die Diskussion hatte ich neulich mit einem Mittelständler, und ich riet dem Geschäftsführer: „Lassen Sie Ihre Mitarbeiter erleben, wie ihre Arbeit beim Kunden ankommt und was sie konkret bewirkt! Organisieren Sie Besuche in der Produktion, laden Sie zufriedene Kunden ein, schaffen Sie persönliche Begegnungen!“

Zudem finde ich es auch für Arbeitgeber wichtig, nicht ständig nach 120 % zu streben. Wir sollten realistisch bleiben und lernen, die 95-%- oder 100-%-Leistung als das zu würdigen, was sie ist: eine solide Basis, ein Vertragsverhältnis. Hier muss man ehrlich und bescheiden bleiben, denn nicht jeder Job ist ein Traumberuf, und nicht jeder Mitarbeiter wird morgens vor Begeisterung aus dem Bett springen. Man muss anerkennen, dass Menschen ihren Job gut machen und auch gut machen wollen – aber mehr nicht, denn ihre wahre Erfüllung finden sie außerhalb des Arbeitsplatzes. Wenn man das sieht und unterstützt, wird man ungeheuer viel Dankbarkeit und Loyalität bei den Mitarbeitern ernten.


In unserer Arbeit als Newplacement-Beratung erleben wir, wie der plötzliche Verlust eines Jobs Menschen zusetzt. Auch wenn Menschen, deren Stellen im Zuge einer Restrukturierung abgebaut wird, üppige Abfindungen bekommen, erfreuen sie sich häufig nicht an der plötzlichen Freiheit und genießen erst einmal das geschenkte Sabbatical. Sie leiden unter handfester Trauer und unter dem Identitätsverlust, der mit der unfreiwilligen Trennung vom Arbeitgeber einhergeht. Viele stürzen sich übereilt in einen neuen Job, der gar nicht zu ihnen passt, nur um wieder „in Arbeit“ zu sein. Können Sie diesen Effekt aus Ihren Forschungen nachvollziehen?


Ja, absolut, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Was Sie beschreiben, ist leider kein Einzelfall, sondern ein Phänomen, das wir in der Psychologie als „Jobverlust-Syndrom“ bezeichnen. Man muss sich ja vor Augen führen: Ihr Alltag, Ihre Routinen, Ihre sozialen Kontakte, Ihre Leistung – alles weg. Da ist es völlig normal, dass sich emotionale Reaktionen wie Trauer, Verunsicherung oder auch Wut einstellen. Und manche Menschen reagieren dann mit ihrer „überschüssigen Energie“ und stürzen sich sofort in die nächste Tätigkeit, nur um nicht mit der Leere konfrontiert zu werden.


Gerade bei Führungskräften, die oft viele Jahre in ihrer Position waren und ihren Job mit einem Großteil ihrer Persönlichkeit verbinden, ist dieses Phänomen stark ausgeprägt. Plötzlich fehlt die Bestätigung von außen, das Gefühl, gebraucht zu werden, etwas zu bewegen.


Ich sehe hier drei zentrale Stellschrauben, erstens: Zeit und Raum für Trauer geben. So schwierig es fällt: Die erste Zeit nach einem Jobverlust sollte dazu genutzt werden, den Verlust zu verarbeiten. Sich die nötige Auszeit zu nehmen, um zur Ruhe zu kommen und die eigenen Emotionen zu sortieren.

Zweitens sollte man inhaltlich, fachlich Bilanz ziehen statt blindlings neu zu starten: Was lief gut im alten Job, was lief schlecht? Wo liegen meine Stärken, wo meine Entwicklungspotenziale? Welche Werte sind mir wichtig in meinem beruflichen und privaten Leben?


Und drittens sollte man professionelle Unterstützung suchen. Dies fällt vielen „High Potentials“ deswegen schwer, weil sie es gewohnt waren, vieles erfolgreich selbst zu machen. Es passt nicht zum Selbstbild des selbst erarbeiteten Erfolgs, gerade in Jobfragen eine professionelle Berufs- und Karriereberatung in Anspruch zu nehmen. Dies kann aber helfen, die berufliche Neuorientierung strukturiert und zielgerichtet anzugehen, auf Basis einer gesteuerten und sehr ehrlichen Diagnose, die offenlegt: Wer bin ich, was kann ich und was will ich wirklich?


Dazu gehört auch: Was macht mich einzigartig? Was sind meine Kernkompetenzen? Was will ich in Zukunft erreichen? Diese Fragen sind die Basis für eine starke „Personal Brand“, die Ihnen dabei hilft, sich im Wettbewerb um die besten Jobs zu differenzieren.


Auch in Zeiten von Fachkräftemangel ist eine berufliche Neuorientierung nach einer unfreiwilligen Kündigung eine herausfordernde Phase. Insbesondere ältere Mitarbeitende, deren Jobs durch Digitalisierung überflüssig geworden sind oder sich fundamental gewandelt haben, tun sich schwer. Wie finden diese Menschen ihre Leistungslust wieder? Wie verhindern wir als Gesellschaft, dass sie in Altersteilzeit und Frührente „aussortiert“ werden und die verlorengegangene Expertise & Erfahrung den Fachkräftemangel noch verstärkt?


Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, weg von der „Entsorgungsmentalität“ hin zu einer Kultur der Leistungslust, der lebenslangen Weiterentwicklung – ich sage bewusst nicht Lernen, denn das klingt mir zu sehr nach Youtube-Tutorials. Und hierbei ist die Politik gefordert. Denn ohne die richtigen Rahmenbedingungen werden wir es nicht schaffen, die Potenziale älterer Arbeitnehmer und auch sehr vieler nur in Teilzeit arbeitender Frauen bzw. Mütter zu heben.


Wir müssen Anreize für Unternehmen schaffen, erfahrene Mitarbeiter zu halten und zu fördern – steuerliche Begünstigungen, Weiterbildungszuschüsse, innovative Arbeitszeitmodelle. Und wir müssen unser Arbeitsrecht flexibilisieren, um neue Formen der Arbeit zu ermöglichen – Teilzeitmodelle, Jobsharing, lebenslange Arbeitszeitkonten, die Phasen intensiver Arbeit mit Phasen der Weiterbildung oder der Freistellung kombinieren.


Gleichzeitig müssen wir aber auch an der Mentalität schrauben! Ältere Arbeitnehmer dürfen sich nicht scheuen, sich auf Neues einzulassen, sich weiterzubilden, sich auch mal auf unkonventionelle Jobs einzulassen. Und Unternehmen müssen umdenken – weg von der Fixierung auf junge, „digitale Natives“, hin zu einem Bewusstsein für die Stärken und Erfahrungen älterer Mitarbeiter.


Es geht um nicht weniger als um eine „neue Arbeit für ein neues Alter“ – eine Arbeitswelt, in der sich Leistung, Engagement und Erfahrung lohnen – und zwar ein Leben lang! Und dafür brauchen wir einen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

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